Richtlinien für die Chorproben

gefunden in einer Schrift der
Gemeinsame Kommission für Chorwesen des BMfUK (Bundesministerium für Unterricht und Kunst) und der Österreichischen Kirchenmusikkommission
... wir hoffen, wir durften uns hier bedienen ... wo es doch SO WICHTIG für uns Chorsänger ist, endlich eine gescheite Richtlinie zu haben!

 

§ 1 Wesen der Chorprobe

Eine Chorprobe ist grundsätzlich ein soziales Ereignis, das dem Austausch von Neuigkeiten zwischen den Chormitgliedern dient und dem Chor die ständige Kontrolle des Chorleiters ermöglicht. Außerdem ist sie die wichtigste Gelegenheit, dem Chorleiter Vorschläge und Anregungen bezüglich der Auswahl der Werke (vgl. § 11) und ihrer Interpretation (vgl. §§ 12 und 13) zu machen. Auf mehrmaliges Verlangen des Chorleiters kann in begründeten Fällen auch das eine oder andere Stück gesungen (!) werden, vorausgesetzt, dass dadurch die statutengemäßen Redezeiten auf nicht weniger als die Hälfte der Gesamtprobendauer verkürzt werden.

 

§ 2 Besuch der Chorprobe

Der Besuch der Probe ist für den Chorleiter verpflichtend, für die Chorsänger im Allgemeinen freiwillig. Ein allzu rigoroser Zusammenhang zwischen Mitwirkung an Aufführungen und Probenfrequenz ist nicht zu empfehlen, jedoch sollte als Faustregel gelten: Ein Chorsänger, der bei fünf Aufführungen gefehlt hat, darf bei der nächsten Probe nicht mitsingen.

 

§ 3 Beginnzeit

Die angesetzte Beginnzeit der Probe ist für den Chorleiter verbindlich, für die Chormitglieder ein ungefährer Anhaltspunkt. Ein gleichzeitiges Eintreffen aller Chorsänger ist unbedingt zu vermeiden, da auf diese Weise der einzelne in einer anonymen Masse untergehen und seine Persönlichkeit in ihrer Entfaltung gehemmt werden könnte. Vielmehr empfiehlt sich ein gestaffeltes Eintreffen im Probenlokal, wobei sich Abstände von etwa drei Minuten als besonders günstig erwiesen haben. Bei jedem neuen Probenlokalbetretungsfall wenden sich die bereits versammelten Chormitglieder kurz dem Neuankommenden zu und diskutieren darauf unter sich die Tatsache der Verspätung, die vermutliche Ursache für die Verspätung und gehen dann noch zumindest im groben Zügen auf den Verspätungsgrad des Betreffenden im Allgemeinen ein. Der Chorleiter setzt währenddessen die Probe unbeirrt fort.

 

§ 4 Dauer der Probe

Die Dauer der Probe liegt im Ermessen des Chores. Sollte der Chorleiter die Probe früher beenden wollen, so hat ihn der Chor nachdrücklich an seine Verpflichtung zum Weiterproben zu erinnern. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Chorleiter über das festgesetzte Ende der Probenzeit hinaus weiterproben will, so kann ihm der Chor dies ausnahmsweise gestatten; in diesem Fall wartet der Chor in einer vorher bestimmten Gaststätte auf den Chorleiter, bis dieser die Probe allein zu Ende dirigiert hat.

 

§ 5 Ziel der Probe

Eine Probe gilt definitionsgemäß als geglückt, wenn

a) mindestens die Hälfte der Sänger einer jeden Stimmgruppe mindestens ein Drittel der Probenzeit anwesend war,

b) mindestens ein Drittel der Sänger einer jeden Stimmgruppe nach der Probe weiß, was bei der nächsten Aufführung gesungen wird,

c) nicht mehr als die Hälfte der für die darauffolgende Aufführung angesetzten Musikstücke vom Programm abgesetzt werden muss.

 

§ 6 Durchführung der Probe

Bei der Probenarbeit hat der Chorleiter die kommunikativen Bedürfnisse der Chorsänger in angemessener Weise zu berücksichtigen. Sollte es jemals nötig sein, das Singen zu unterbrechen, dann hat er das Ergebnis der dadurch notwendigen Diskussion in Ruhe abzuwarten und erst auf Ersuchen des Chores seine persönliche Meinung über Ursache und Zweck der Unterbrechung bekannt zu geben. Er achte dabei streng darauf, mit seiner Darstellung weder eine Stimmgruppe noch etwa einen einzelnen Chorsänger persönlich anzugreifen, sondern bemühe sich, sein eigenes Versagen gebührend herauszustreichen. Danach wird im Chor über die Fortsetzung der Probe abgestimmt, wobei das Reststimmenverfahren anzuwenden ist.

 

§ 7 Wiederaufnahme der Probenarbeit

Wenn nach einer Unterbrechung der Probenarbeit wieder weitergesungen werden soll, spricht sich der Chorleiter mit den Chorsängern ab, an welcher Stelle eingesetzt werden soll. Keinesfalls genügt es, einfach irgendeine Taktzahl anzusagen, da auf diese Weise ja die Kommunikationsvorgänge (vgl. § 1) innerhalb des Chores gestört würden. Vielmehr tritt der Chorleiter

vor jeden Sänger hin und gibt jedem einzelnen mit freundlicher Stimme die betreffende Taktzahl bekannt, auf Wunsch auch mehrmals.

 

§ 8 Ablauf der Probe

Die Probenarbeit beginnt grundsätzlich stets mit dem Kyrie der nächsten für eine Aufführung angesetzten Messe; die vereinzelt anzutreffende Unart mancher Chorleiter, aus Unsicherheit mit einem anderen Stück der Messe zu beginnen, ist wegen der dadurch auftretenden psychischen Belastung der Chorsänger strikt abzulehnen. In krassen Fällen sollen einzelne Sänger dadurch so verwirrt worden sein, dass sie beim nächsten Hochamt gleich zu Beginn das Sanctus aufgeschlagen haben.

 

§ 9 Unterstützung des Chorleiters

Der Chorleiter soll etwa alle fünf Minuten der Anteilnahme des Chores an seiner schwierigen Arbeit versichert werden. Am besten geschieht das durch einen aufmunternden, deutlich hörbaren Seufzer. Der Chorleiter ist angehalten, diesen Seufzer mit einem dankbaren Lächeln zu quittieren und in angemessenen Abständen zurückzuseufzen.

 

§ 10 Vermeidung von Störungen des Chorleiters

Der Chorleiter darf bei seiner schwierigen Leitungsaufgabe nicht dadurch gestört werden, dass ihn die Chorsänger herausfordernd anblicken. Dies gilt besonders für heikle Stellen wie Einsätze, Tempowechsel, Fermaten und Schlussakkorde; jeder Blick kann hier zur Katastrophe führen, wenn sich der Chorleiter beim Studium der Partitur beobachtet fühlt. Deshalb ist - insbesondere in den angeführten Fällen - jeder Blickkontakt zu vermeiden; es wird darüber hinaus empfohlen, zur Vermeidung unbeabsichtigter Augenreflexe die Noten immer in Stirnhöhe zu halten.

 

§ 11 Auswahl der zu probenden Werke

Die Auswahl der Werke nimmt der Chorleiter nach Rücksprache mit jedem einzelnen Chormitglied vor, weshalb er mit der Programmierung stets mindestens drei Jahre vor der jeweiligen Aufführung beginnt. Das so von ihm erstellte Programm hat nur Vorschlagscharakter und kann jederzeit mit einfacher Chorstimmenmehrheit geändert werden. Vorschläge aus dem Chor brauchen auf Nebensächlichkeiten wie etwa die liturgische Zuordnung der Stücke keine Rücksicht nehmen; derlei die Sache verkomplizierende Planungskriterien sind ausschließlich Privatsache des Chorleiters, die mit den wirklich essentiellen Motiven für die Werkauswahl nichts zu tun haben und daher von den Chorsängern unberücksichtigt bleiben können.

 

§ 12 Interpretationsfragen

Der interpretatorische Ansatz des Chorleiters kann zwar in manchen Fällen zur Meinungsbildung innerhalb des Chores beitragen, soll aber die Arbeit eines erfahrenen Chores nicht ungebührlich einschränken. Es ist daher nötig, dass nach jedem zur Gänze durchgesungenen Stück jeder Chorsänger sofort und ohne falsche Scham seine Einwendungen bekannt gibt, insbesondere, was die Tempowahl betrifft. Der Chorleiter nimmt diese Korrekturen dankbar entgegen und berechnet während der folgenden Diskussion still für sich das Durchschnittstempo, das sich durch einfache Division der vorgebrachten Metronomangaben durch die Anzahl der anwesenden Chormitglieder ergibt. Sollte dieses demokratische Verfahren keine Lösung der Tempofrage ergeben, so dirigiert der Chorleiter beim nächsten Versuch erst ab dem zweiten vollen Takt, bis er das vom Chor angeschlagene Tempo sicher aufnehmen kann.

 

§ 13 Dauer der Notenwerte

Der Chorleiter muss sich jederzeit genau an die gedruckten Notenwerte halten. Die Eigenart mancher Dirigenten, schwarz auf weiß gedruckte Notenwerte verkürzt singen zu lassen und dafür noch fadenscheinige, pseudowissenschaftliche Begründungen zu geben, wird nicht länger toleriert. Insbesondere bei Einschnitten in einem Werk oder bei Schlussakkorden hat die gedruckte Note in jedem Fall Vorrang vor allfälligen individuellen Sonderwünschen des Chorleiters. In hartnäckigen Fällen kann der Chor durch deutliches Aussprechen der Schlusskonsonanten den Chorleiter auch bei der Aufführung darauf hinweisen, dass er in Bezug auf die Länge der Note wieder einmal im Irrtum war.

 

§ 14 Neueinstudierungen

Bei neu einzustudierenden Werken, insbesondere bei solchen aus dem 20. Jahrhundert, ist der Chor verpflichtet, spätestens nach sieben Takten – bei sehr langsamem Tempo spätestens nach vier Takten – ein wohlabgewogenes Urteil über Brauchbarkeit und künstlerischen Wert des Stückes abzugeben. Die private Ansicht des Chorleiters kann dabei unberücksichtigt bleiben, da er zumeist durch zu lange Beschäftigung mit dem Werk nicht mehr jenen Abstand davon hat, der die unbedingte Voraussetzung für ein einigermaßen objektives Urteil ist.

 

§ 15 Notenmaterial

Das Notenmaterial ist schonend zu behandeln und darf nicht durch undeutliche Bleistifteintragungen im Wert gemindert werden. Eintragungen dienen zwar nicht der Sache, sondern nur den eigenwilligen Vorstellungen des Chorleiters. Wenn aber in Ausnahmefällen Eintragungen unumgänglich sind, so ist erstens darauf zu achten, dass die nötige Vielfalt gewährleistet bleibt. indem sich jeder Sänger etwas anderes einträgt; die hierfür nötigen Absprachen sind während der jeweils nächsten Viertelpause stimmenweise untereinander vorzunehmen. Zweitens sollen solche Eintragungen mit kräftigem roten, oder grünem Filzschreiber vorgenommen werden. Nur so kann ein unkünstlerisches Neu-Überdenken der ein für alle Mal gewonnenen interpretatorischen Erkenntnisse unterbunden werden.

 

§ 16 Beschriftung der Stimmen

Es ist verboten, den vollen Namen auf die Stimmen zu schreiben. Noten sind viel zu kostbar für derlei unnütze und egozentrische Manifestationen, Es genügt ein möglichst unleserlicher Kürzel aus den Anfangsbuchstaben (noch besser: aus den Endbuchstaben) des Vor- und Familiennamens des Sängers. Auf diese Weise bleibt die Privatsphäre des Chorsängers respektiert und die letzten Minuten vor einer großen Aufführung können durch Suchen der jeweils eigenen Noten viel besser genützt werden, als dies durch bloße Konzentration auf das erste Stück der Fall wäre.

 

§ 17 Mitnahme von Noten

Es ist weiterhin gestattet, Noten unter dem Vorwand des Heimstudiums mit nach Hause zu nehmen, vorausgesetzt, der Chorsänger achtet darauf, die Noten keinesfalls zur betreffenden Aufführung mitzunehmen. Als Rückgabetermin, empfiehlt sich die viertübernächste Probe oder die drittübernächste Aufführung. Dadurch bleiben die Notenwarte in Übung und die Spinnwebenbildung in den Kästen wird gering gehalten.

 

§ 18 Probenplan

Der Probenplan ist ein ehrwürdiges Dokument, das vom Charakter her nur unwesentlich unter einem bischöflichen Hirtenwort rangiert. Deshalb ist der Probenplan auch sofort nach Erhalt in einem Umschlag zu versiegeln und an sicherer Stelle aufzubewahren, am besten zusammen mit den Wert- und Schmucksachen. Keinesfalls ist er zum ständigen Gebrauch oder zum würdelosen wöchentlichen Nachprüfen der nächsten Chortermine bestimmt. Die Termine kann jeder Chorsänger viel praktischer während des Singens von seinem Nachbarn erfahren oder – noch authentischer – vom Chorleiter drei Minuten vor Beginn einer Aufführung.

 

§ 19 Solistische Aufgaben

Solistische Aufgaben kleineren Umfangs sollen nach Möglichkeit nicht vom Chorleiter vergeben werden, sondern unter Nutzung des Selbstbestimmungsrechtes innerhalb der Stimmgruppen abgesprochen werden (für größere solistische Aufgaben ist diese Vorgangsweise ohnehin verpflichtend). Nur so ist gewährleistet, dass alle Sängerinnen und Sänger einer Stimmgruppe, unabhängig von ihrer stimmlichen und musikalischen Eignung, gleichmäßig oft solistisch hervortreten können. Außerdem wird der Chorleiter dadurch zu erhöhter Konzentration angehalten, da er ja erst beim jeweiligen Einsatzton erfährt, wer ein bestimmtes Solo singt.

 

§ 20 Periodische Eignungsprüfung des Chorleiters

Mindestens einmal pro Vierteljahr setzt der Chor ohne Wissen des Chorleiters eine so genannte Extremprobe an; diese dient der regelmäßigen charakterlichen und fachlichen Weiterentwicklung des Chorleiters sowie seiner fortlaufenden Schulung im Umgang mit Extremsituationen. In der letzten regulären Probe vor der fälligen Extremprobe werden durch das Los mindestens 20 Freiwillige bestimmt, die beim nächsten Probentermin verbindlich nicht erscheinen; nur so können die für die Entwicklung des Dirigenten nötigen didaktischen und psychologischen Bedingungen wirklichkeitsgetreu simuliert werden. Über das Verhalten des Chorleiters während der Extremprobe erstellen die nicht anwesenden Chorsänger ein Gutachten, das im folgenden Quartal bis zur nächsten Extremprobe als Grundlage für die Kommunikation mit dem Chorleiter dient.